Samstag, 6. Oktober 2012

Bald ist das Lateinmonster in Basel Geschichte



1980 stellte die Studentenschaft dieses Monster vor den Eingang zu den Hörsälen am Petersplatz um für die Abschaffung des Lateinobligatoriums an der phil I - Fakultät zu demonstrieren. Lange ist es her - diesen Herbst wird nun der Lateinzwang für Geschichte und Kunstgeschichte still und ohne grosse Publicity beerdigt.

Bericht in der Basellandschaftlichen Zeitung


Wie Radio DRS im Echo der Zeit berichtet, hält die Uni Zürich dagegen am Latein fest, auch wenn sie damit bald allein steht. 

Tempora mutantur - Times are a-changing


Sonntag, 24. Juni 2012

Big Brother heiratet Big Sister

Wie facebook.com aus der Kombination des Selbstdarstellungstriebes seiner NutzerInnen mit der Technologie des kleinen Startup-Unternehmens face.com das Internet zu einem Ort macht, in dem fast jedes beliebige Gesicht dem richtigen Namen zugeordnet werden kann.


Die aktuelle Seite der Story
Vor wenigen Tagen hat facebook offiziell bekannt gegeben, dass es die israelische Startup-Firma face.com kaufen wird. face.com hat eine sehr zuverlässig arbeitende Gesichtserkennungs-Software entwickelt. Ist einmal ein Foto eines Gesichts bekannt, erkennt diese Software die gleiche Personen auch auf weiteren Fotos im Internet.
Bericht im Tagesanzeiger


Über die genauen kommerziellen oder allfällige andere Motive von facebook für den Kauf wird derzeit spekuliert. Immerhin ist dem blog von face.com folgendes zu entnehmen:
"
Our mission is and has always been to find new and exciting ways to make face recognition a fun, engaging part of people’s lives, and incorporate remarkable technology into everyday consumer products."
blog von face.com


Technischer Hintergrund
Aus dem Artikel im Tagesanzeiger geht hervor:
 - face.com arbeitet schon bisher mit facebook zusammen
 - face.com hat Hunderte Millionen Fotos mit Markierungen versehen
 - face.com kann neben der Identität von BenutzerInnen auch Geschlecht und Alter in den Fotos erkennen

Wie funktioniert es in der Praxis
Noch vor wenigen Jahren war es gang und gäbe, dass bei einer Fotosuche mit google selbst bei Personen, die durch ihre öffentliche Tätigkeit in regionalen Zeitungen jährlich mehrmals mit Foto präsent sind, keine zutreffenden oder mehr falsche als zutreffende Fotos erbrachte. Bei anderen Suchmaschinen war die Trefferquote noch schlechter. Inzwischen sind wie durch Geisterhand viele falsche Zuordnungen verschwunden und korrekt zugeordnete Fotos dazu gekommen. Der Effekt zeigt sich besonders dann, wenn die betroffene(n) Person(en) selbst einen facebook-Account mit Profilfoto hat(haben) und damit eine "gesicherte" Zuordnung zum Namen als Ausgangspunkt besteht.
Wo ein solcher Zusammenhang fehlt, greift die google-Bildersuche immer noch maschinell "dumm" auf Bildlegenden zurück, ohne diese korrekt zu "verstehen". So liefert eine Bildsuche nach "Martin Jud" z.B. das Bild eines Säuglings mit der Bildlegende "1204 × 803 - In Uznach in der evangelischen Kirche wurde Anja von Pfarrer Martin Jud am ...". Der Mensch interopretiert sofort, dass der Säugling Anja heisst und das Bild wenig zum Pfarrer aussagt, der dumme Computer macht die falsche Zuordnung. Mit Gesichtserkennung verschwindet solches, sobald ein zuverlässig zugeordnetes Bild im Internet verfügbar ist.


Und was kommt auf uns zu?
In Zukunft wird (fast) jedeR im Internet zur gläsernen Person - ob wir das wollen oder nicht. Denn unsere lieben FreundInnen und Bekannten werden uns auf facebook markieren, ob wir wollen oder nicht ...





Grottenschlechte neue Oberfläche in Blogger

Blogger hat die Oberfläche verändert. Einmal mehr eine Verschlimmbesserung aus dem unsäglichen Bedürfnis nach "Innovation" heraus. Merke: wenn etwas gut ist, kann man es durch Veränderung fast nur noch schlechter machen. Es ist wie auf einer Bergwanderung. Wer auf dem Gipfel steht, kann nur noch absteigen.
Schade.
Mein heutiger Post, an dem ich einige Zeit geschrieben hatte, ist zwar gespeichert, aber für mich im Nirwana. Vielleicht ist das mein letzter Post auf Blogger. So macht es definitiv keinen Spass mehr.

Donnerstag, 19. April 2012

Der Euro ist eine Fehlkonstruktion - aber Europa will es nicht wahrhaben

Bei Diskussionen mit Kollegen, die wie ich nicht Wirtschaft studiert haben, sondern als Ingenieure arbeiten, fällt mir immer wieder auf, dass wir zwar "allgemein gebildeten", aber eben nicht auf Ökonomie spezialisierten Zeitgenossen kein allzu tiefes Verständnis von grundlegenden volkswirtschaftlichen Vorgängen haben. Ich fürchte, vielen Politikern geht dasselbe in ähnlichem Masse ab. Vielleicht müsste man der Ökonomie etwas mehr Gewicht an den Mittelschulen geben ... aber darüber will ich heute gar nicht schreiben.

Aufgefallen ist mir das Problem anhand der Eurokrise. Ein wichtiger Aspekt und eine wichtige Ursache der Eurokrise ist die Tatsache, dass man bei der Einführung ohne (auch nur ansatzweise genügende) flankierende Massnahmen die Marktmechanismen des Währungsmarktes ausgehebelt hat. Und sowas tut man nicht ungestraft. Bekannt ist, dass man eine Schuldengrenze (Stabilitätsziel) definiert hat, die europäischen Politiker aber weitaus erfinderischer darin sind, diese trickreich zu umgehen als Wege zu finden, um sie einzuhalten. Das erzürnt diejenigen, die sich daran halten (aber auch nicht immer daran gehalten haben) insbesondere die deutsche Bundesregierung. Aber auch das ist noch nicht der wichtige Punkt, denn der Staatshaushalt ist ja nur ein Teil der ganzen Volkswirtschaft (jedenfalls in einer westlichen Marktwirtschaft, im Gegensatz etwa zu Kuba oder zur DDR).

Ein grösseres Gewicht hat - zumindest im "Westen" der "private" Wirtschaftssektor. Und der besteht aus Betrieben, die Waren herstellen, Handelsfirmen und KonsumentInnen. Und auch wenn man der klassischen ökonomischen Theorie kritisch gegenüber steht, ist doch einleuchtend: Wenn viele Leute ein Produkt haben wollen, und davon wenig hergestellt wird (oder ein Monopolanbieter die Menge künstlich knapp halten kann, oder ein Kartell die Preise abspricht), dann steigt der Preis mit der Nachfrage. Umgekehrt versuchen die meisten Handelsfirmen ihre "Ladenhüter" durch Preisnachlässe attraktiver zu machen.
Um Missverständnissen vorzubeugen sei hier noch erwähnt, dass auch Hotelübernachtungen und Dienstleistungen wie Haareschneiden natürlich im erwähnten Sinne "Produkte" sind. Es gibt Länder, wie die Schweiz oder Griechenland, wo solche Dienstleistungen einen grossen Teil der "verkauften Produkte" ausmachen.

Was hat das mit Währungen zu tun? Im internationalen Handel (auch wenn ich selbst über die Grenze einkaufen gehe) muss ich erst mal bei der Bank Geld in fremden Währung kaufen, bevor ich damit im Ausland ein Produkt kaufen kann. Das gilt auch für den Hersteller von Waren, für die er ausländische Rohstoffe einkaufen muss usw.

Umgekehrt braucht ein Hersteller, der ein Produkt ins Ausland verkauft (exportiert) Geld in der einheimischen Währung um Löhne und sonstige Kosten zu bezahlen, die im eigenen Land anfallen. Er muss also mit den Einnahmen aus dem Export wieder "eigene Währung kaufen".

Wenn ein Land gleich viel exportiert wie importiert, dann spricht man von einer ausgeglichenen Handelsbilanz und wenn diese Verhältnisse gegenüber den Handelspartnern stabil bleiben, bleibt auch die Nachfrage nach Währungs-Umtauschgeschäften im Gleichgewicht, d.h. der Wechselkurs zwischen den Währungen bleibt stabil. Gehen Importe und Exporte allerdings zu sehr auseinander, dann konsumieren die einen das, was die anderen herstellen, ohne dafür einen Gegenwert zu liefern. Auf dem Markt funktioniert sowas nicht. Der Markt gleicht das Ungleichgewicht allerdings nicht direkt, sondern indirekt aus: Die Nachfrage nach der Währung eines Landes mit grossem Exportüberschuss steigt, weil ja alle diese Währung brauchen, um die (begehrten) Produkte zu kaufen. Umgekehrt sinkt die Nachfrage nach Währungen von Ländern mit Importüberschuss.

Wenn Währungen an den Finanzmärkten gehandelt werden, dann spielt sich durch den Handel mit den Währungen über den Mechanismus von Nachfrage, Angebot und Preis ein neuer Wechselkurs ein: die Währungen der Exportriesen werden teurer, ihre Produkte damit auch, die Währungen der Länder mit Importüberschuss werden billiger, deren Produkte damit auch - jedenfalls im Aussenhandel. Im Prinzip müsste in einer Welt der Schnäppchen-Jäger somit die Nachfrage nach den billiger gewordenen Produkten steigen und die nach den teuerer gewordenen Produkten sinken. So ergibt sich ein - ständig neu ausgehandeltes Gleichgewicht.

Die Sache hat allerdings einen Haken, der gerade im Fall der Schweiz nicht unbedeutend ist: wenn über längere Zeit ausländische Investoren mehr Geld in der Schweiz anlegen wollen als sie wieder abziehen, dann löst auch das eine "Nachfrage" nach Schweizer Franken aus, d.h. der Franken wird "teurer". Das ist allerdings ein Effekt, der innerhalb der Eurozone eine viel geringere Bedeutung hat als gegenüber der Schweiz und den ich deshalb hier nicht weiter betrachten will.

Was ist nun mit der Einführung des Euros passiert? Wer vor der Einführung jahrzehntelang ab und zu Ferien am Mittelmeer gemacht hat, erinnert sich noch daran, dass der Wechselkurs der italienischen Lira und der griechischen Drachme von Jahr zu Jahr gesunken ist. Offensichtlich hat der Währungsmarkt hier Ungleichgewichte im Handel (inkl. Dienstleistungen) immer wieder in die gleiche Richtung korrigiert.  Dieses Prinzip hat nicht schlecht funktioniert.

Mit der Einführung des Euro wurde der Ausgleich über den Wechselkurs innerhalb der Eurozone einfach abgeschafft. Das kann nicht lange gut gehen. Vor allem, wenn es keinen direkten Ersatz für den abgeschafften Ausgleichsmechanismus gibt. Indirekt haben die "Eltern" des Euro wohl geglaubt, der freie Binnenmarkt und die Personenfreizügigkeit seien solche Ausgleichsmechanismus und würden genügen. So war es aber offensichtlich nicht.

Interessant ist, dass man immer nur von der Staatsverschuldung spricht und nur höchst selten über die Ungleichgewichte im innereuropäischen Handel mit Waren und Dienstleistungen, die - mangels Ausgleich über Wechselkurse - seit der Einführung des Euro nicht mehr ausgeglichen werden.

Als einfachem Zeitgenossen ist es mir rätselhaft, wie die volkswirtschaftlichen Spezialisten und Politiker in Europa diese einfachen Zusammenhänge so konsequent und so lange ignorieren können. Ein Grund dafür fällt mir ein: niemand möchte gerne zugeben, dass er sich geirrt hat. Lieber noch ein bisschen weiterwurschteln und hoffen, dass es sich mit der Zeit von selbst löst. Das ist allerdings keine besonders beruhigende Zukunftsperspektive.

Mittwoch, 11. April 2012

Herdentrieb oder Nützlichkeitsorientierung?

Der Ökonom Werner Vontobel stellt die Grundannahme der klassischen Wirtschaftstheorie radikal in Frage:
Die Menschen würden nicht ihren Nutzen maximieren, wie die Vordenker der modernen Ökonomie gemeint haben, sondern sie seien schlicht und einfach Herdentiere, die dem Leithammel folgen und bestenfalls nacheifern.
http://www.blick.ch/news/wirtschaft/vontobel/warum-reiche-reicher-werden-id1841769.html

So einfach dürfte es nicht sein. Einerseits folgen diejenigen, die gemäss Vontobels Theorie die Rolle der Leithammel spielen, ja nicht einfach irgendwelchen festen Ritualen wie Leithammel beim Kampf um die Führungsposition in der Herde. Vielmehr lassen sie sich durchaus einiges einfallen, um mit neuen Produkten, Verkaufsmethoden oder Finanzinstrumenten am Markt einen Vorteil zu haben. Auch das hat die Finanzkrise eindrücklich genug gezeigt.

Andererseits folgen bei weitem nicht alle brav den Leithammeln, sondern es gibt sehr viele ganz unterschiedliche Strömungen in der modernen Gesellschaft, die man nicht einfach über einen Kamm scheren kann. Vor allem orientieren sich die meisten Leute bei ihren Entscheiden nicht ausschliesslich an wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern auch an Gefühlen, Werten (z.B. Solidarität), Überzeugungen usw.

Recht hat Vontobel insofern, als das Nützlichkeitsprinzip tatsächlich viel zu plump ist, um das wirtschaftliche Handeln der Menschen angemessen zu erklären. Allerdings bringt es nichts, die jahrhundertealte grobe Vereinfachung durch ein auch nicht eben furchtbar "neues" und vor allem ebenso plumpes Prinzip zu ersetzen.

Die Frage ist auch nicht, ob die Wirtschaft sich selbst steuert, wenn ihr die Politik nicht dreinredet - das tut sie nämlich sehr wohl: die Stärkeren setzen sich dann einfach durch. Das ist genau so wie in der Natur. Die Frage ist, ob wir Menschen das so wollen. Und wie wir reagieren, wenn das Recht des Stärkeren - ohne Regulierung durch die Politik - konsequent auf die Spitze getrieben wird.

Ein Blick auf die Weltpolitik und die Geschichte zeigt: Wenn die Ungleichheit zu gross wird, suchen die Menschen irgendeine Form des Ausgleichs. Bietet die Politik eine "zivilisierte" Möglichkeit dazu an, z.B. indem auf demokratischem Weg Gesetze erlassen werden, die die schlimmsten Auswüchse einschränken, dann wird diese Möglichkeit auch genutzt. Ist das politische System dagegen so erstarrt, dass Veränderungen auf diesem Weg nicht möglich sind, dann steigt der Druck so lange an, bis es zu einer gewaltsamen Veränderung kommt, wie letztes Jahr in Nordafrika (Aegypten, Tunesien, Libyen) oder vor gut zweihundert Jahren in Europa (Französische Revolution, Helvetische Revolution 1798).

Bei der Revolutionsvariante gibt es in aller Regel viele Tote, grosse Zerstörungen und meist auch neue Ungerechtigkeit; nur in den seltensten Fällen entsteht direkt nach einer Revolution eine stabile und gerechte neue Gesellschaftsordnung, kurzum: es gibt fast nur Verlierer. Das wissen auch die meisten Leute - so dumm wie Herdentiere, wie Vontobel unterstellt, sind sie nämlich nicht. Revolutionen gibt es deshalb nur dort, wo sehr viele Leute (fast) nichts mehr zu verlieren haben.

Vergleicht man die heutige Wirtschaft mit einer Klimaanlage, dann würde die Variante "Verelendung und Revolution" etwa dem Versuch entsprechen, mit einem Vulkan zu heizen. Zuerst wird es unerträglich heiss, dann kommt es zur Explosion und die in die Luft geschleuderte Asche verdunkelt die Sonne, es kühlt wieder ab - bis zu dem Punkt, wo es im Sommer schneit und im nasskalten Wetter alles verfault. Nicht eben das, was man von einer "Klimaanlage" erwarten würde.

Die mittelschwache "Regelung" der Wirtschaft wie wir sie in Westeuropa ungefähr seit dem zweiten Weltkrieg  erleben, liesse sich dagegen mit einem Kachelofen vergleichen, bei dem tüchtig eingeheizt wird, bis die ganze Wohnung überhitzt und die Luft total stickig ist (Hochkonjunktur, Arbeitskräftemangel). Dann reisst man die Fenster auf und lässt die Wohnung wieder abkühlen, bis alle frieren (Rezession, Arbeitslosigkeit). Und so geht das von Konjunkturzyklus zu Konjunkturzyklus. Auch noch nicht ganz das, was wir als angenehmes Raumklima empfinden. Aber immerhin wesentlich besser als beim Vulkan, um im Bild zu bleiben.

Die Heizungstechnik zeigt allerdings, dass man auch feiner regeln kann, wenn man a) will und b) sich ordentlich um die Verfeinerung der Regeltechnik bemüht. Vielleicht gelingt es den Ökonomen ja im 21. Jahrhundert, bei der Steuerung der Konjunktur einen wesentlichen Schritt vorwärts zu kommen. Derzeit sehe ich allerdings schon bei Punkt a), beim Willen, wenig ermutigende Anzeichen. Aber das kann sich ja noch ändern, oder in der Managersprache ausgedrückt: es ist noch sehr viel Potenzial vorhanden.

Freitag, 30. März 2012

We're not winning

 «Ich sehe nicht, wie wir aus diesem Dilemma herauskommen, wenn wir unsere Techniken nicht verbessern oder unser Denken ändern. So wie wir es derzeit handhaben, werden wir den Hackern nie einen Schritt voraus sein können.»
Shawn Henry, Chef der Abteilung für Computersicherheit bei der US-Bundespolizei FBI bringt es auf den Punkt.
http://online.wsj.com/article/SB10001424052702304177104577307773326180032.html
(deutsche Zusammenfassung beim Tagesanzeiger:
 http://www.tagesanzeiger.ch/digital/internet/Wo-die-Supermacht-kapituliert/story/19725939)

Wer ein bisschen aufmerksam beobachtet, was sein PC zuhause und im Büro ohne ausdrückliche Bedienung oder wenigtens Zustimmung alles so treibt, kann sich eigentlich nicht wundern, dass die heutigen Betriebssysteme (insbesondere diejenigen von Microsoft) Hacker geradezu anlocken wie der Kuhdung die Fliegen.

Was müsste denn geändert werden?
1. Die Firmenkunden müssten der Computerindustrie den Tarif durchgeben. Klare Forderungen stellen. Entweder ihr gebt uns innert weniger Jahre sichere Betriebssysteme und sichere Software, oder ihr könnt das Geschäft vergessen - im Extremfall, weil die Firmenkunden die heutige Entwicklung im alltäglichen Cyber War nicht mehr allzu lange überleben werden.Und ohne die Arbeitsplätze wird es auch keine Privatkunden mehr geben.

2. Der entscheidende Punkt ist "unser Denken ändern": die heutige Software will vor allem eines sein: total flexibel und laufend veränderbar. Es vergeht kaum ein Tag, wo nicht irgendeine neue Schnickschnack-Technologie erfunden wird, die eigentlich niemand wirklich braucht, die aber der Markt trotzdem begierig aufsaugt. Innovation um der Innovation willen halt.

Wenn wir "unser Denken ändern" sollen, dann müssten die Benutzer - private ebenso wie Firmenkunden - sich zuallererst schlicht einmal damit zufriedengeben, dass alle Hersteller Standards einhalten und sich damit begnügen, dass neue Videos und Spiele mit Inhalten statt mit immer neuen technischen Effekten punkten müssen, weil man neue Effekte nur noch sehr restriktiv entwickelt. Heute ist es gerade umgekehrt.

3. Wenn ich Software wöchentlich ändern/updaten muss, dann kann ich das als mittelgrosser oder grosser Firmenkunde nur nur noch mit Fernwartung halbwegs systematisch bewältigen. Wenn das System aber Fernwartung zulässt, dann wird es auch Fernmanipulation durch Hacker zulassen. Ist die "Hintertür" für die Fernwartung erst mal im System drin, dann kann (und wird) sie auch vom Hacker benutzt werden.

Auch dagegen hilft wieder nur radikales Umdenken: Das System muss total "abgeschottet" werden, einmal "für immer" (d.h. für die Lebensdauer der Hardware, d.h. ca 5 bis maximal 10 Jahre) aufgesetzt werden und dann einfach unverändert laufen: dann braucht es nämlich keine Fernwartung mehr und damit auch keine Hintertür, die über das Internet zugänglich ist.

4. Zum Thema "Abschottung". Es beginnt schon ganz elementar. Seit Jahrzehnten setzen Profis PC's so auf, dass eine Harddisk grundsätzlich aufgeteilt wird in einen Bereich für Betriebssystem und Programme (unter DOS und Windows: Laufwerk "C:") und einen Bereich für Daten (Laufwerk "D:"). Als gewöhnlicher Mitarbeiter habe ich auf meinem Firmen-PC auf dem Laufwerk "C:" gar nichts zu suchen - auch dann nicht, wenn ich zuhause durchaus erfolgreich meine PC's selbst warte.

Nur die - man entschuldige den harten Ausdruck - "Chaoten" von Microsoft & Co (Linux ist leider nicht wirklich besser) vermischeln systematisch Betriebssystem und Benutzerdaten und "verstecken" die Benutzerdaten irgendwo in einem Verzeichnisbaum tief im Betriebssystem-Laufwerk. Auf diese Weise muss das System dauernd im Betriebssystembereich Daten verändern, d.h. aber auch: man kann den Betriebssystem-Bereich nicht grundsätzlich gegen Veränderungen (zB das Installieren von Schadsoftware) schützen, sondern muss bei jedem Schreibzugriff entscheiden, ob der "gut" oder "böse" ist.

Speichermedien - Harddisks oder Disketten etc. lassen sich seit Jahren auf der Ebene der Hardware einfach und zuverlässig gegen das Überschreiben schützen -aber nur, wenn man ganze Datenbereiche schützt oder freigibt, nicht einzelne Dateien. Dazu müsste man den geschützten und den veränderlichen Bereich aber eben sauber trennen (siehe oben). Dass man mit dem Vermischeln der Bereiche "den Hackern nie einen Schritt voraus sein" kann, ist eigentlich logisch.

5. Man sollte klar unterscheiden zwischen den Zugriffsrechten eines Systemadministrators und denjenigen eines normalen Benutzers. Und auch derjenige, der Administratorrechte hat, sollte sich diese nur "zulegen", wenn er entsprechende Wartungsarbeiten am PC ausführt, nicht aber, um einfach Texte oder Fotos zu bearbeiten oder im Internet zu surfen. Es gibt immer wieder nachträgliche Veränderungen, die diese so einfache Regel kaputt machen.

Z.B. läuft unter Windows gewisse Software für WLAN über USB-Stick, die früher einmal mit Administratorrechten installiert werden musste und dann mit "normalen" Benutzerrechten funktionierte, heute nach dem Aufspielen sogenannter Sicherheitsupdates nur noch mit Administratorrechten. Damit ist der Benutzer vor die Wahl gestellt, dauernd mit Administratorrechten zu arbeiten, oder den WLAN-Stick fortzuwerfen. Für solche Sicherheitsupdates gibt es nur einen sinnvollen Begriff: pervers. Das Beispiel ist übrigens nur eines von vielen ähnlich gelagerten bei Windows Updates. Und auch hier sind UNIX und Linux nicht besser, wie der berühmte KGB-Hack aus den 1980er-Jahren zeigt, wo die Hacker die Tatsache ausnutzten, dass eine neue Funktion zum Abholen von e-Mails mit dem pop3-Protokoll Administratorenrechte benötigte. Wozu eigentlich? Es gibt doch keinen wirklich guten Grund, die Zugriffsrechte auf die Daten eines Benutzers mit den Zugriffsrechten auf die Konfiguration des Betriebssystems zu verbandeln!
http://de.wikipedia.org/wiki/KGB-Hack

Natürlich gibt es zu vielen dieser Schwachstellen irgendwann "Patches" (Korrekturen). Aber erst, nachdem schon viel Schaden angerichtet wurde. Man ist bei dem - was die Sicherheit betrifft - grundsätzlich konzeptlosen Aufbau der heutigen Computer-Betriebssysteme den Hackern effektiv immer einen Schritt hintendrein statt voraus sein, wie Shawn Henry zutreffend erkannt hat.

Man könnte hier endlos weiter philosophieren. Und selbstverständlich müsste man ziemlich viele Leute während einigen Jahren dran setzen, ein wirklich stabiles und sicheres Betriebssystem für PC's zu entwickeln. Solange die aber immer und immer wieder lieber beliebig flexible statt sichere Systeme entwickeln, wird Shawn Henry - leider - recht behalten: "We're not winning". Eigentlich schade.

Mittwoch, 14. März 2012

Blogging-Unternehmer Nick Denton ist enttäuscht von der Intelligenz der Massen

Nick Denton, Gründer der Blogging-Plattformen Gawker, Jezebel, Gizmodo, io9 und Lifehacker hat die Hoffnung aufgegeben, dass das Internet einen ernsthaften Gedankenaustausch und intelligente Diskussionen zwischen seinen BenutzerInnen herbeiführen werde. Die Idee, die Intelligenz der Leserschaft in den Kommentaren zu einem Blog anzapfen zu können, sei nur noch ein schlechter Witz.

Selbst das Moderieren von Kommentaren hält er für reine Zeitverschwendung - acht von zehn Kommentaren hätten nichts mit dem Thema zu tun oder seien nur giftig. Je populärer eine Seite werde, desto schlechter und hässlicher seien die Kommentare.Eine anständige und intelligente Diskussion sei auf grossen Seiten schlicht unmöglich geworden und das schrecke auch noch die letzten Leute ab, die ernsthaft diskutieren möchten.
Nick Denton bei CNN

Irgendwie kommt mir das bekannt vor. Egal ob es um sich um offene Bereiche von sozialen Netzwerken, grosse Blogs oder Kommentarbereiche zu Online-Artikeln von Tageszeitungen handelt - das Bild ist immer dasselbe: es wimmelt von Trolls, die bloss Aufmerksamkeit heischen und zu diesem Zweck weder vor falschen, klischeehaften, unsinnigen und provokativen Aussagen noch vor groben persönlichen Beleidigungen zurück schrecken und es schaffen, jede sinnvolle Diskussion zu ersticken.

Samstag, 3. März 2012

Lautes Wiehern des Amtsschimmels in Zürcher Schulstuben

Wenn Du überqualifiziert bist, sollst Du nicht vom Kanton Aargau in den Kanton Zürich ziehen. Dort gilt nämlich uneingeschränkt und gegen jede Vernunft, was der Amtsschimmel wiehert.

"Die deutsche Juliane Kade unterrichtet seit sieben Jahren in Spreitenbach im Kanton Aargau auf der Realstufe. Sie hat eine Zulassung der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) in Geschichte und Englisch, und zwar auf Gymnasialniveau. Nun hat sie sich auf eine Stelle in Embrach (Kanton Zürich) beworben und soll in Deutsch nachbüffeln. ... Welche Module Juliane Kade besuchen solle, habe auf dem Volksschulamt allerdings niemand sagen können, sagt  der Embracher Schulpräsident Altenburger. «Klar ist bis jetzt lediglich, dass Frau Kade Deutsch nachbüffeln muss. Den Rest kann sie frei wählen – und das ist doppelt absurd.»"
 http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/Deutsche-Lehrerin-zum-Deutschkurs-verknurrt/story/11733437

Na ja, die spinnen die Zürcher. Das wussten die übrigen Schweizer eigentlich schon lange. Nicht nur die Basler, auch die Ostschweizer und Zentralschweizer. Die wagen es bloss nicht so laut zu sagen, weil sie ja darauf angewiesen sind oder sein könnten, in Zürich einen Job zu finden, wie Frau Kade.

Etwas besser versteckt im Artikel des Tagesanzeigers ist ein Verweis auf das Bologna-System der europäischen Hochschulen. "Eine Festanstellung sei erst erlaubt, wenn sie sich zehn Leistungspunkte nach dem europäischen Hochschulsystem erarbeitet habe." Erfahrung und praktische Qualifikation sind offenbar im 21. Jahrhundert nicht mehr gefragt. Hauptsache, man hat einen Wisch Papier, der irgendwelche Leistungspunkte bescheinigt. Welche genau, und wozu überhaupt das scheint ja nicht so wichtig zu sein.

Freitag, 2. März 2012

Schwarmintelligenz ade - Selbstbespiegelung ahoi

Während viele von der Schwarmintelligenz im Netz träumen und hoffen, dass das Internet einen Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft leisten kann und wird, wenden sich wichtige Internetkonzerne gerade von diesem Konzept ab und zum Konzept der nach (vermeintlichen) persönlichen Vorlieben gefilterten Information hin.

Der legendäre "Page-Rank"-Algorithmus von google erfasste über die Links auf Webseiten, was die Gesamtheit der Informationsanbieter im Internet (Webseitenbetreiber) für relevant halten und erreichte damit gegenüber yahoo und anderen Suchmaschinen erhebliche Qualitätsvorteile bei der Relevanz der Suchresultate.
(Original-Paper von Sergey Brin and Lawrence Page zur Google-Idee)

Heute entscheiden die von mir selbst besuchten Webseiten darüber, was mir google bei meiner nächsten Suche vorsetzen wird. Es wird schwieriger, neues zu finden und damit neues zu lernen. In seinem Buch "Filter Bubble" warnt der Politologe und Jurist Eli Pariser eindringlich vor dieser Tendenz und spricht von der Entmündigung der Internet-Nutzer.
(Zeitungsartikel zur Warnung von Eli Pariser)

Mittwoch, 29. Februar 2012

Ein Stopp für Initiativen, die gegen Grundrechte verstossen

Heute hat der Ständerat mit Stichentscheid des Präsidenten - also sehr knapp - entschieden, dass Volksinitiativen künftig für ungültig erklärt werden können, wenn sie den Kern der Grundrechte (aus der Verfassung oder aus dem Internationalen Recht, z.B. der Europäischen Menschenrechtskonvention) verletzen.
(Zeitungsbericht zur Debatte im Ständerat)

Hintergrund dieses Beschlusses ist das Unbehagen eines Teils der classe politique, aber in diesem Fall vor allem der classe juridique darüber, dass das Volk  sich in den letzten Jahren dreimal erfrecht hat, seine Kontrollfunktion (bekanntlich der einzig stichhaltige Grund für das System der Demokratie) wahrzunehmen und den Behörden mit grenzwertigen Volksinitiativen die rote Karte zu zeigen. Einmal ging es um die Verwahrung von gemeingefährlichen Straftätern, ein anderes Mal um die Ausschaffung von straffälligen Ausländern und drittens um das Minarettverbot.

In allen drei Fällen sind die Bestimmungen der vom Volk nach heftigem Abstimmungskampf angenommenen Initiativen im Detail problematisch. Das sei hier keineswegs bestritten. In allen drei Fällen gäbe es garantiert auch tauglichere Lösungen für das eigentliche Problem. Gäbe - wenn denn Politik und Justizbehörden wenigstens den Wink mit dem Zaunpfahl ein bisschen Ernst nehmen und sich selbstkritisch fragen würden, warum eine, wenn auch nicht allzu grosse, Mehrheit der Stimmberechtigten den etwas grobschlächtigen Zaunpfahl ausgerissen hat und damit wild herumfuchtelt. Tun sie aber nicht. Sie lamentieren über die, wie gesagt zugegebenermassen in der Praxis nicht besonders tauglichen Lösungsansätze der Initiativen und dass "der Mob" (steht so in einigen Zeitungsartikeln) diese Initiativen trotz aller Warnungen der ach so intelligeten classe politique und classe juridique in seiner Dummheit trotzdem in der Volksabstimmung angenommen hat.

Und die Politik sucht nach Mitteln, solche Initiativen in Zukunft zu unterbinden. Im Klartext und pointiert formuliert: die classe politique und die classe juridique in diesem Lande verdrängen die Probleme auch nach drei verlorenen Abstimmungen und zeigen sich unfähig, mit der Kritik des Volkes an ihrer Amtsführung vernünftig und als erwachsene Menschen umzugehen.

In der Debatte, wie sie von der classe politique und - bislang noch - von einer grossen Mehrheit der professionellen Journalisten (also der in modernen Demokratien faktisch als notwendig anerkannten vierten Gewalt im Staat) geführt wird, betonen die "Profis" immer wieder, dass die Grundrechte unantastbar seien und gegen die Willkür basisdemokratischer Hauruck-Lösungen geschützt werden müssten. Tönt gut. Ist leider aber nur die halbe Wahrheit und greift als solche viel zu kurz.

Mir fehlt hier eine Auseinandersetzung mit den Grundrechten als solchen und mit dem, was Juristen in jedem halbwegs anspruchsvollen Fall tun müssen (wenn alles ganz klar wäre,  wären sie nämlich überflüssig): Es braucht hier eine Güterabwägung zwischen verschiedenen Rechtsgütern, in diesem Fall zwischen  verschiedenen Grundrechten. Und die haben nun mal nicht alle das gleiche Gewicht. Zumindest nicht in Europa.

Am klarsten ist der Fall bei der Verwahrungsinitiative. Von Seiten des Justizapparates kommt hier immer das Argument, auch ein Schwerverbrecher (andere Leute verwahrt man ja ohnehin nicht) habe ein Recht darauf, dass seine Verwahrung periodisch überprüft werde. Das ist an sich ok, allerdings setzt die "böse", vom Volk angenommene Verwahrungsinitiative genau hier an und lässt eine Überprüfung nur noch zu, wenn neue Therapiemethoden entwickelt werden, die endlich mehr Therapieerfolg bringen. Das wird dem einzelnen Straftäter nicht gerecht, und ist somit der falsche Lösungsansatz. Das bestreite ich gar nicht.

Fakt ist allerdings auch, dass seit Jahrzehnten immer wieder rückfällige Serientäter auf Hafturlaub oder im halboffenen oder offenen Strafvollzug (der nach offizieller Lesart ihrer Resozialisierung dienen soll) rückfällig geworden sind und weitere Opfer vergewaltigt und/oder umgebracht haben. Es dürfte hier schwierig sein, eine Mitschuld (im Sinne der Fahrlässigkeit) des Justizapparates zu verneinen, der die Gefährlichkeit der beurlaubten oder in den offenen Strafvollzug versetzten Täter unterschätzt hat.

Aktuell wurde ebenfalls heute gerade einmal mehr ein erstinstanzliches Urteil gegen einen rückfälligen Täter gefällt, der eine junge Frau mit dem Versprechen, von ihr Model-Fotos zu machen, in seine Wohnung gelockt und sie dort ermordet hat. Und das erstinstanzliche Gericht hat wieder keine lebenslängliche Verwahrung ausgesprochen. Ein Rückfall scheint also für diese Richter zuwenig Grund, an der Therapierbarkeit des Täters zu zweifeln.
(Zeitungsbericht zum Prozess)

Was meine ich in diesem Zusammenhang mit Güterabwägung?
Eigentlich haben wir alle ein Menschenrecht auf Leben (jedenfalls darauf, dieses nicht auf unnatürliche Weise zu verlieren) und auf körperliche Unversehrtheit. Ich halte diese beiden Grundrechte für absolut übergeordnet allen anderen Rechten. Wenn wir in Europa die Todesstrafe abgeschafft haben, dann heisst das doch nichts anderes, als dass das Grundrecht auf Leben in Europa über allen "guten" Gründen steht, die aussereuropäische Staaten für die Verhängung der Todesstrafe anführen mögen. Weshalb sollte das Grundrecht auf Leben eines jeden Opfers von Gewaltverbrechen dann nicht auch über dem Recht eines gemeingefährlichen, rechtmässig und zweifelsfrei für schuldig befundenen Gewaltverbrechers stehen, nach einer gewissen Zeit auf Bewährung aus dem Knast heraus zu kommen? Gibt es überhaupt ein solches Recht des Straftäters auf Bewegungsfreiheit in der EMRK?

Kann mir hier jemand erklären, weshalb die Bewegungsfreiheit des Gewaltverbrechers, der mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder ein Opfer umbringen wird, dann doch höher zu gewichten sei als das Leben seines nächsten Opfers?

In diesem Punkt sind von den Vertretern der classe politique und der classe juridique seit Jahren keine vernünftigen Argumente vorgebracht worden, man vermeidet es im Gegenteil ganz grundsätzlich, die Frage auf dieser Ebene öffentlich zu diskutieren. Wahrscheinlich weil die Antwort allzu klar wäre. Und unbequem, ja geradezu peinlich. Weil die Antwort auf das Eingeständnis herauslaufen würde, dass der Strafvollzug in der Schweiz vor lauter gut gemeinten Bemühungen zur Resozialisierung von Straftätern und zur Einhaltung der Menschenrechte im Strafvollzug in den letzten Jahrzehnten die grundlegenden Menschenrechte der "normalen" Bevölkerung etwas aus den Augen verloren hat.

Eigentlich braucht es keine so absolute Bestimmung über die effektiv im Wortsinne lebenslängliche Verwahrung  von untherapierbaren Gewalttätern wie sie in der Volksinitiative und nach deren Annahme nun in der Verfassung steht. Eigentlich braucht es nur etwas mehr Augenmass im Justizvollzug. Und eine klare Unterscheidung zwischen "in dubio pro reo" (im Zweifel für den Angeklagten - falls dessen Schuld nicht klar nachgewiesen werden kann ist das ja wirklich sinnvoll) - und "in dubio gegen den rechtsgültig Verurteilten" - (falls dessen Therapieerfolg nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann). Positiv formuliert: Im Zweifelsfall für den Schutz der Bevölkerung vor rückfallgefährdeten verurteilten Gewaltverbrechern. Das würde genügen. Mehr braucht es nicht. Aber auch nicht weniger. Nicht wegen der angeblichen emotionalen Inkompetenz des Mobs, sondern wegen der Menschenrechte. Das sollten die selbsternannten Verteidiger der Grund- und Menschenrechte bedenken und vor allem beherzigen.

Sonntag, 12. Februar 2012

Wer am effektivsten kommuniziert vertritt nicht automatisch die Mehrheit

In diesen Tagen jährt sich sowohl die iranische Revolution (33 Jahre - 1979) als auch der Sturz des ägyptischen Diktators Mubarak (1 Jahr). So unterschiedlich die Ausgangslage gewesen sein mag - es gibt Parallelen dieser beiden modernen Revolutionen in der islamischenWelt untereinander wie auch zu den Revolutionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Europa (Frankreich, Schweiz).


Zunächst einmal: Eine Revolution nährt Hoffnungen, die zu erfüllen eine fast unlösbare Aufgabe ist - schon rein organisatorisch bzw. vom reinen Arbeitsaufwand her, der in den Aufbau neuer politischer Strukturen und einer neuen, demokratisch kontrollierten Verwaltung und Armee/Polizei gesteckt werden muss - ganz abgesehen von den Machtkämpfen zwischen verschiedenen Fraktionen der Revolutionäre. Es ist einfach zu erkennen, dass die alte Ordnung total ungerecht ist/war, es ist viel schwieriger zu definieren, wie die neue Ordnung sein soll, damit es wirklich besser wird.

In Europa war das vor 200 Jahren nicht anders und schon gar nicht besser. Die französische und die helvetische (schweizerische) Revolution sind genau an diesem Problem gescheitert.
Zur Helvetischen Revolution und ihrem Scheitern

Zudem wird oft übersehen: Wer am lautesten schreit bzw. am geschicktesten kommuniziert, vertritt noch nicht unbedingt die Mehrheit. In Ägypten haben Revolutionäre aus den unterschiedlichsten politischen Lagern gemeinsam erfolgreich gegen Mubarak gekämpft - aber es ist unübersehbar, dass es sich dabei vor allem um junge und gut ausgebildete Leute aus den Städten handelte. Bei den Wahlen dagegen war - so ist Demokratie nun mal - die ganze Bevölkerung gefragt, auch die älteren Leute und die ländliche Bevölkerung. Und es hat sich gezeigt, dass die Bevölkerungsmehrheit zunächst mal verunsichert ist und eine Ordnung wünscht, die irgendwie bekannt und vertraut ist und eine gewisse Stabilität verspricht. Im arabischen und speziell im ägyptischen Umfeld scheinen die Muslimbrüder mit dem starken religiösen Bezug diesem Bedürfnis besser zu entsprechen als junge Revolutionäre, die radikale (an den Wurzeln der Gesellschaftsordnung ansetzende) Reformen fordern.
Zur aktuellen Situation in Ägypten

Auch in Europa haben zunächst die Konservativen die Revolution beerbt und es hat mehr als eine Generation gedauert, bis man es gewagt hat, es nochmals mit einer grundlegend neuen Gesellschaftsordnung zu versuchen (französische Revolution 1789, helvetische Revolution 1798, neue Anläufe in beiden Ländern 1830-31 und 1848).

Wo die Lebensbedingungen für die Mehrheit bequem genug sind, stellt sich das Problem der Beteiligung anders als in einer Diktatur oder absolutistischen Monarchie. Es sind dann nicht die Mutigsten oder Verzweifeltesten, die durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit auf ihre Anliegen aufmerksam machen wollen, sondern Minderheiten, die sich zu Recht oder zu Unrecht von der Mehrheit diskrimiert fühlen oder auch nur andere gesellschaftspolitische Vorstellungen vertreten als die Mehrheit und einen missionarischen Eifer dafür entwickeln.

In der harmloseren Form "missbrauchen" kleine Gruppen, z.B. Sport- und Turnvereine die in der Schweiz in kleineren Gemeinden weit verbreitete basisdemokratische Institution der Gemeindeversammlung dazu, durch geschickte Mobilisierung ihrer Anhängerschaft und Ausnützung der Trägheit der Mehrheit formaljuristisch korrekte Entscheidungen für den Bau und/oder die Subventionierung von öffentlichen Infrastrukturen zu erreichen, deren Nutzen für die breitere Allgemeinheit fraglich ist. So können in einem Dorf mit 3000 wahlberechtigten Einwohnern drei Vereine mit 150 Mitgliedern und einigen Familienmitgliedern und Freunden schon mal 300 Stimmen mobilisieren und damit 2700 "Normalbürger" überstimmen, von denen sich nur 10% aufraffen, für die Ausübung ihres Stimmrechtes einen ganzen Abend "zu opfern".

Ähnliches - aber mit schlimmeren Auswirkungen befürchten nun gemässigte Muslime in der Schweiz von der Idee, eine Art "demokratische Vertretung" der Muslime in der Schweiz zu schaffen. Nicht von der Hand zu weisen ist die Befürchtung, dass besonders aktive, eher traditionalistische Muslime in einem solchen Gremium infolge der "Wahlfaulheit" der gemässigten Leute übervertreten wären und dies aunützen würden, um extreme Positionen als "Meinung der Muslime in der Schweiz" zu vertreten.

«Irritierend» sei das Projekt eines muslimischen Parlaments, sagt Saïda Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam gegenüber der Tageszeitung "Tagesanzeiger". Das Grundproblem liege darin, dass alle islamischen Verbände insgesamt nur 10 bis 15 Prozent aller Muslime in der Schweiz vertreten, «jene, die in die Moschee gehen».
Bedenken liberaler Muslime in der Schweiz gegen eine pseudodemokratische Muslimvertretung

Schlimmer als bei der Durchsetzung partikularer Interessen an einer Gemeindeversammlung wären die Auswirkungen in diesem Fall, weil es dabei nicht nur um die Verteilung öffentlicher Mittel geht, die in einem reichen Land zwar nicht unbegrenzt, aber doch reichlich zur Verfügung stehen, sondern darum, dass eine Minderheit in der Minderheit mit ihren extremen Aussagen die Mehrheit in der Meinung bestärken könnte, dass alle Muslime Extremisten sind. Dass dies im Alltag nicht unbedingt zu einem besseren Einvernehmen zwischen der Mehrheit und der Minderheit führt, scheint mir ziemlich nahe liegend.

Freitag, 3. Februar 2012

Widerspruch gegen die Tigermutter

Die chinesisch-stämmige Amerikanerin Amy Chua, Professorin an der Juristischen Fakultät der Yale Universität, hat mit ihrem Buch "Battle Hymn of the Tiger Mom" (deutsche Ausgabe: "Die Mutter des Erfolgs: Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte") einen Bestseller gelandet. In einem Artikel im Wall Street Journal fasst sie ihre wesentlichen Thesen zusammen: Why Chinese Mothers Are Superior. Kurz auf den Punkt gebracht: Drillen Sie Ihr Kind zum Erfolg.

Allerdings regt sich auch schon einiger Widerstand gegen das Erfolgsrezept:

Ralph Pöner stellt der Tigermutter 5 rhetorische Fragen:
- Warum nehmen wir nicht die brasilianischen Mütter zum Vorbild? (auch Brasilien boomt)
- Seit wann sind denn die chinesischen Mütter überlegen (ihr Erziehungsstil dominierte schon zu Maos Zeiten)
- Nennen Sie eine bahnbrechende chinesische Erfindung seit der Schwarzpulver.
- Weshalb ist die Selbstmordrate unter Schülern in China so hoch?
- Warum erwähnen die Medien nicht, dass Amy Chua ein Buch des Scheiterns geschrieben hat?
   Denn es erzähle - gemäss Einleitung - auch "von meiner Demütigung durch eine Dreizehnjährige"
Der ganze Artikel vom 28.1.2011 ist nachzulesen bei clack.ch

Andreas Landwehr (dpa) zeigt auf, dass die Nachteile der Drillmethode im Wesentlichen die unvermeidliche Kehrseite ihres Erfolgs sind: "Auswendiglernen sehr gut, Phantasie ungenügend". Im Spiegel-Artikel vom 29.1.2011 wird dann auch gleich die Methodik der PISA-Tests kritisch hinterfragt, für die man gut büffeln kann, die aber eigenständiges Denken kaum überprüfen.

Wozu dieser Beitrag? Nach einem Jahr Eurokrise und dem Beinahe-Staatsbankrott der USA vom letzten Sommer erscheint China dem einen oder der anderen als die neue Führungsmacht der Welt. Die kritischen Bemerkungen zum Lob der Tigermutter könnten diese Einschätzung etwas relativieren ...

Mittwoch, 1. Februar 2012

Französische Regierung gegen Cyber-Mobbing unter Jugendlichen

Die französische Regierung hat eine Kampagne gegen das Cyber-Mobbing unter Jugendlichen gestartet. Mobbing auf dem Pausenplatz ist nichts neues, davon können schon unsere Eltern und Grosseltern ein Lied singen. Neu sind bloss die Reichweite der Attacken (weltweit statt bloss lokal) und die Schwierigkeit, diese mit dem Ende der jugendlichen Sturm- und Drangzeit ad acta legen zu können - denn das Internet vergisst bekanntlich vor allem das nicht, was man am liebsten löschen würde (während die coolsten Infos im Netz meist schon nach einem Jahr nicht mehr auffindbar sind). Die Erziehungswissenschaftlerin Catherine Blaya sagt aufgrund - bisher erst provisorischer - Forschungsergebnisse zudem, dass die (scheinbare) Anonymität des Internets eine enthemmende Wirkung habe. (Pressebericht)
Experten sagen, dass Mobbing oft in der realen Welt beginne und raten dazu, das Problem in der realen Welt anzugehen und sich nicht auf eine Eskalation im Internet selbst einzulassen. (Konkrete Beispiele von Cybermobbing  unter Jugendlichen und Hinweise zur Problemlösung in diesem Artikel des Tagesanzeiger).

Obwohl es bereits Fälle von Cybermobbing auf facebook gibt, die vor Gericht geklärt werden (Pressebericht) hält sich die Vorstellung vom Internet als rechtsfreiem Raum gerade bei jüngeren Leuten hartnäckig.

Derweil fordert Google-Chef Eric Schmidt bereits ein Recht auf Namensänderung für junge Erwachsene, um den ramponierten Ruf ein für allemal hinter sich lassen zu können (Pressebericht).

Ob das der richtige Weg ist, wage ich zu bezweifeln. Denn abgesehen davon, dass Cybermobbing sich nicht auf die Jugend beschränkt, sondern JedeR jederzeit Opfer werden kann, ist eine Namensänderung ein einschneidender Schritt, und selbst die kaum zu verbergende Tatsache, dass man sich zu diesem Schritt entschieden hat, würde wieder neue Fragen aufwerfen und zu Vermutungen und Gerüchten Anlass geben.

Vielleicht wäre es doch sinnvoller, über einen Zwang für Betreiber von Foren, sozialen Netzwerken und Suchmaschinen nachzudenken, missbräuchliche Einträge für immer zu löschen. Ganz ohne knifflige technische, ökonomische und juristische Probleme wäre das sicher nicht zu haben. Unter anderem wäre eine juristische Güterabwägung zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des Opfers und dem Recht auf freie Meinungsäusserung fällig, und dies quer durch alle Länder der Erde, die ja bekanntlich solche Rechte aus ihren unterschiedlichen kulturellen Traditionen heraus sehr unterschiedlich gewichten.

Samstag, 28. Januar 2012

Rückzug von Schweizer Banken aus dem USA-Geschäft

Vor einigen Jahren war im Tagesanzeiger die Warnung eines Privatbankiers zu lesen, das Geschäft mit Privatkunden in den USA sei zu riskant (Link lässt sich nicht mehr so einfach ergoogeln - muss ich noch suchen). Nun zeichnet sich ab, dass die meisten Schweizer Banken, soweit sie überhaupt in den USA engagiert sind, von der unklaren Rechtslage genug haben und sich von diesem Markt zurück ziehen wollen. Den Anfang machte die Zürcher Kantonalbank (ZKB) mit einem Brief an ihre US-Kunden zur Weihnachtszeit:
Rückzug ZKB aus dem USA-Geschäft
Nachdem drei Banker der Bank Wegelin in den USA wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung angeklagt worden sind (Pressemeldung) hat gestern hat die Bank Wegelin (die älteste Privatbank der Schweiz) ihr Nicht-USA-Geschäft an die Raiffeisenbank verkauft und will das USA-Geschäft liquidieren. US-Kunden haben - wie schon bei der ZKB - 60 Tage Zeit, ihre Vermögen bei der Bank Wegelin abzuziehen.
(Pressebericht)

Ich interpretiere den Verkauf des Nicht-USA-Geschäfts als Verzweiflungsreaktion der Wegelin-Teilhaber (die ja mit ihrem Privatvermögen für die Verbindlichkeiten der Bank haften) und vermute, dass sie die nach dem Abzug der Kundengelder verbleibende Leiche der Bank Wegelin durch einen Konkurs vor den drohenden Bussen in den USA wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung retten wollen. Bekanntlich kann man Leichen ja nicht mehr strafrechtlich verfolgen, und ich vermute, dass dies auch für die Leichen von juristischen Personen gilt. Bin mal gespannt, ob ich damit richtig liege.

So oder so - wenn der Trend zum Rückzug der kleineren Schweizer Banken aus den USA sich fortsetzt, dann verbleiben nur noch die Grossen (UBS, CS und Julius Bär) und das Bankgeheimnis dürfte in einer solchen Konstellation noch mehr unter Druck kommen.

Sonntag, 22. Januar 2012

Wieviel "Wulffen" ist erlaubt?

Während in der Schweiz die Retourkutsche zum "Abschuss" des Nationalbankpräsidenten durch Blocher & Co. schon in voller Fahrt ist (Protestaustritte bei der SVP) schwelt die Affäre um den deutschen Bundespräsidenten Wulff weiter. Letzte Woche wurden Büros von ehemaligen Wulff-Mitarbeitern von der Staatsanwaltschaft durchsucht, heute abend steht die Talk-Show von Günther Jauch unter der Frage "Wie viel "Wulffen" ist in Ordnung?" (Vorschau). In beiden Fällen geht es letztlich um die Glaubwürdigkeit von Amtsträgern in wichtigen Positionen.

Das Anliegen als solches - Amtsträger sollen im Interesse der Allgemeinheit handeln und dürfen sich durch das Amt keine persönlichen Vorteile verschaffen und schon gar nicht durch die Annahme von Geschenken von Drittpersonen abhängig werden - ist selbstverständlich berechtigt und müsste in einer Demokratie eigentlich selbstverständlich sein.

Trotzdem sei hier die Frage erlaubt, ob es angesichts der aktuellen Situation (Eurokrise) im Interesse der Allgemeinheit sein kann, wenn mittels quotenwirksamen Kampagnen "auf den Mann gespielt" wird und man Amtsträger, die Verfehlungen begangen haben gleich "mit der Moralkeule erschlagen" soll (kritischer Kommentar von Hugo Stamm dazu hier). Denn eigentlich wäre doch gerade ungestörte Arbeit und breit abgestützte Lösungsfindung für die grossen Probleme notwendig.

Im Fall Hildebrand ist - auch wenn grundsätzlich niemand unersetzlich ist - die Vakanz im Präsidium der Nationalbank sicher nicht im höheren Interesse des Landes und im Fall Wulff hätte Bundeskanzlerin Angela Merkel sicher Gescheiteres zu tun, als sich mit der Frage zu beschäftigen, wie die CDU/CSU möglichst unbeschadet aus der Affäre Wulff herauskommt.

Durch die Fokussierung der Medien auf die Amtsträger und ihre Verfehlungen geraten die Sachfragen in den Hintergrund. Und bei diesen gäbe es durchaus öffentlichen Diskussionsbedarf. In der Schweiz wurde die Diskussion letzten Sommer öffentlich ausgetragen, und das Ergebnis war - auch ohne formelle Abstimmung im Parlament und ohne Volksabstimmung klar: ein von Spekulanten massiv jenseits der wirtschaftlichen Basisdaten getriebener Wechselkurs ist inakzeptabel und die Nationalbank soll korrigierend eingreifen und dafür notfalls auch Inflation risikieren. Nachdem die öffentliche Diskussion diesen Punkt erreicht hatte, handelte die Nationalbank und setzte das Kursziel fest (zur Erinnerung: Kurs vor der Bekanntgabe ca 1 EUR = 1 CHF, realwirtschaftlicher Kurs entsprechend Kaufkraftparität 1 EUR = 1.35 CHF, zwingend verteidigtes Kursziel und aktueller Wechselkurs nach dessen Bekanntgabe 1 EUR = 1.20 CHF).

In der übergeordneten Sachfrage (Eurokrise) wird dagegen im Hintergrund hektisch verhandelt während die Diskussion über die Grundsatzfragen (soll Griechenland in der Eurozone verbleiben oder nicht, und was würde im einen oder anderen Fall passieren; macht es Sinn im Euroraum einen Finanzausgleich einzuführen wie ihn die Schweiz zwischen den Kantonen kennt  und wenn ja, mit welchen Regeln) nur in Bruchstücken an die Öffentlichkeit gelangt. Wie in dieser Sache die vom Duo Merkozy angedachten Lösungen europaweite Akzeptanz erreichen sollen, bleibt mir schleierhaft.

Donnerstag, 19. Januar 2012

Herabstufungen der Euroländer durch die Ratingagenturen werden vom Markt ignoriert

Die Ratingagentur Standard & Poor's hat am Freitag die Bonität von neun Euroländern (Bericht hier) und am Montag diejenige des Euro-Rettungsschirms (Bericht hier) herabgestuft und Fitch kündigt einen vergleichbaren Schritt an (Ankündigung von Fitch).

Derweil platzieren mehrere Eurostaaten am Markt Anleihen zu günstigen Zinskonditionen, auf die sie vor einem Monat wohl in den kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt hätten (SpanienDeutschland und Portugal).
Nachtrag 19.1.2012: Auch Frankreich erreicht trotz Verlust des AAA-Ratings bei einer Auktion für Staatsanleihen tiefere Zinsen als zuvor. (Bericht hier).

Was soll man daraus schliessen?
1. Spielen die Ratingagenturen mit gezinkten Karten, und heizen sie die Schuldenproblematik mit schlechten Ratings bewusst an, weil sie daran gut verdienen (oder dies zumindest erwarten)? Dieser Vorwurf wurde gestern 17.1.2012 im "Echo der Zeit" von Manfred Gärtner (Uni St. Gallen) erhoben (Beitrag hier nachzuhören).
2. Oder ist  der von den Ökonomen postulierte Zusammenhang zwischen Risiko und Zinshöhe weitaus weniger zwingend / linear als uns die Ökonomen verkünden? Spielen irrationale Erwartungen und spekulatives Pokern bei der Festlegung der Zinsen an den Finanzmärkten vielleicht vielleicht eine grössere Rolle als erhärtbare Fakten?

Der Glaube an die Ökonomie als Wissenschaft und an die "Rationalität des Marktes" - oder was davon nach den Krisen der letzten Jahre übrig geblieben ist - wird durch die jüngsten Ereignisse jedenfalls kaum gestärkt. Selbst die Gralshüter des Kapitalismus scheinen mittlerweile von Zweifeln beschlichen zu werden:

«Der Kapitalismus in der bisherigen Form passt nicht länger zu unserer Welt», erklärte WEF-Gründer Klaus Schwab. «Wir haben es verpasst, die Lehren aus der Finanzkrise von 2009 zu ziehen.» Der globale Wandel sei dringend nötig.
Während man mit grossen Risiken kämpfe, sei man immer noch belastet von den Sünden der Vergangenheit. «Wir haben eine moralische Kluft, wir sind überschuldet, wir haben die Investitionen in unsere Zukunft vernachlässigt, wir haben den sozialen Zusammenhalt unterminiert und wir laufen Gefahr, das Vertrauen künftiger Generationen zu verlieren», sagte Schwab.
 (WEF-Gründer Schwab äussert am WEF Zweifel am Kapitalismus)


Nachtrag am 14.2.2012:

Selbes Thema - selber Effekt
Es beeindruckt die Märkte auch nicht, dass mit Moody's die letzte der grossen drei Ratingagenturen am 13.2.2012 nachzieht und die Herabstufungen mehrerer Euroländer durch Standard & Poor's und Fitch bestätigt. Italien und Spanien können sogar zu den seit längerem günstigsten Konditionen am Markt neue Anleihen aufnehmen.
http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/unternehmen-und-konjunktur/Moody-s-straft-mehrere-EUStaaten-ab/story/13710406

Freitag, 13. Januar 2012

Atomsicherheitsbehörden messen mit zweierlei Ellen

Nach einem Artikel im Tagesanzeiger hat die US-Atomsicherheitsbehörde den in Japan lebenden US-Bürgern empfohlen, einen Abstand von 50 Meilen um Fukushima einzuhalten. Wenn man die 50 Meilen-Zone auf das AKW Indian Point bei Buchanan, NY anwendet, dann müssten bei einer Katastrophe im bald 40-jährigen AKW "rund 18 Millionen Menschen evakuiert werden; sämtliche Stadtteile New Yorks, mit Ausnahme von Staten Island, wären mitbetroffen. Ein kaum vorstellbares Szenario." Ende August wurde die Gegend von einem Erdbeben der Stärke 5.8 erschüttert, ein Beben der Stärke 7 ist keineswegs auszuschliessen. Trotzdem scheint die Schliessung des AKW Indian Point für die US-Behörden derzeit kein Thema zu sein.
Risiko-AKW Indian Point

Donnerstag, 12. Januar 2012

Ökonomen und Finanzgurus suchen die ultimative Kristallkugel

Gestern und heute bin ich über zwei Artikel gestolpert, die reichlich unkonventionelle, wenn auch nachvollziehbare Indikatoren zur Beurteilung der Wirtschaftslage vorstellen.

Der erste Indikator ist ein Geheimtipp des legendären ehemaligen US-Notenbankchefs Alan Greenspan, er verlässt sich auf die Verkaufszahlen von Männer-Unterhosen, nach dem Motto: wenn es ganz schlimm steht um die Wirtschaft, dann wird an der Stelle gespart, wo mann nicht glaubt, repräsentieren zu müssen - jedenfalls wenn man dem krude übersetzten Geschreibsel von designerunterwäsche.com Glauben schenkt: "In den meisten Fällen viele Menschen geben nicht viel Wert auf ihre Unterwäsche. Sie setzen auf nachlässig ohne viel Aufmerksamkeit. Sie erkennen nicht, warum diese Kleidung unter die Hose oder Hosentasche getragen wird, da sie nicht bewusst sind, über ihre Bedeutung. Es gibt große Sorten von Mandaten, Männer zur Verfügung gestellt werden, die in verschiedenen Stilen und Designs, aber viele sind sich dessen nicht bewusst." Genau.
Die Unterhosen-Theorie von Alan Greenspan

Die Finanzanalysten von Barclays Capital dagegen schauen lieber nach oben statt nach unten und sind dabei ebenfalls fündig geworden: Wenn Wolkenkratzer allzu hoch in den Himmel wachsen, platzt die Immobilienblase meist schon vor der Fertigstellung des rekordverdächtigen Objekts:
Anzeichen für Immobilienblase in China und Indien
Hochbau kommt vor dem Fall
Nun, so neu ist diese Theorie ja nun auch wieder nicht, gehört sie doch ins Repertoire alt-mesopotamischer Weisheit, die uns Westlern auf dem Umweg über die Bibel bekannt sein sollte:
Der Turmbau zu Babel
Und die Moral von der Geschichte: keep low profile (neudeutsche Version einer alten schweizerischen Politiker-Weisheit).
Gibt es eigentlich auch ähnlich verlässliche Indikatoren für den wirtschaftlichen Aufschwung? Die würden uns doch jetzt viel mehr interessieren als weitere apokalyptische Untergangsprophezeihungen.

Freitag, 6. Januar 2012

Pfarrerssohn Christoph Blocher gibt den Moralapostel

In der Affäre um die angeblich spekulativen Devisenkäufe und Verkäufe der Familie des Nationalbankpräsidenten Philipp Hildebrand fordert Blocher eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) und spielt sich damit zum Moralapostel auf. Angesichts seiner eigenen langen Liste spekulativer Geschäfte, die ihn reich und mächtig gemacht haben, sollte Blocher wohl etwas mehr nach dem Sprichwort leben: "Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen".

Donnerstag, 5. Januar 2012

SP-Parteipräsident will Ständerat werden

SP-Parteipräsident Christian Levrat will im März als Nachfolger für den in den Bundesrat gewählten Ständerat Alain Berset kandidieren. Das lässt natürlich seine kürzliche Hinwendung zu einem pragmatischeren Umgang mit dem Migrationsthema in einem neuen Licht erscheinen - demjenigen des Wahlkampfes in eigener Sache. Sich mit fetten Schlagzeilen auf Seite 1 in Erinnerung zu rufen, kann ja in dieser Situation nicht schaden ....

Rückblick auf Christoph Blochers Karriere

Während die bekanntlich SVP-nahe Wochenzeitung Weltwoche gerade genüsslich die weihnachtliche Saure-Gurken-Zeit mit einer essigsauren Kampagne gegen Nationalbankpräsident Hildebrand zu füllen versuchte, blickte der Tages-Anzeiger ebenso bitterböse auf den Verschleierungs-Coup des Jahres zurück: Blochers mit Hilfe des offensichtlich als Strohmann agierenden Airline-Gründers Moritz Suter gut getarnte Übernahme der Basler Zeitung. Trotz aller Raffinesse ist allerdings zuletzt doch noch öffentlich geworden, was alle eh längst vermutet hatten: Blocher will Einfluss auf die Medien ausüben. Um die bitterböse Rückschau noch abzurunden, lieferte der Tages-Anzeiger-Artikel gleich noch Blochers Werdegang vom mausarmen Pfarrerssohn zum Multimillinär dazu: Blocher - der Profi
Eine interessante Lektüre für alle, die am Stammtisch oder sogar in Zeitungskommentaren von sich geben, Blocher sei dumm - mit Verlaub, sowas ist ein absoluter Schwachsinn. Blocher mag ab und zu dumme Sprüche machen, wenn er damit bei seinen Wählern zu punkten hofft, aber dumm ist der Mann nicht, sondern im Gegenteil hochintelligent, zielorientiert und und er weiss seine Intelligenz auch sehr erfolgreich für seine Ziele einzusetzen. Das Kunststück, aus der kleinsten Partei der traditionellen Vier-Parteien-Koalition und einigen rechten Splittergruppen die grösste Partei zusammen zu schmieden, soll ihm erst einmal einer nachmachen.
Dass ihn eine Mehrheit des Parlamentes vor vier Jahren als Bundesrat abgewählt hat und er kürzlich auch bei der Volkswahl in den Ständerat (kleine Parlamentskammer) abgeblitzt ist, spricht nicht wirklich gegen diese Einschätzung. Wer in der Schweizer Politik zu sehr über das Mittelmass hinausragt wird bekanntlich aus Prinzip fast reflexartig abgestraft. Blocher ist also Opfer seines eigenen Erfolgs geworden - und "Opfer" einer demokratischen Tradition, in der mehr instinktiv als bewusst nach der Maxime gehandelt wird, dass Demokratie nicht primär dazu dient, geniale Lösungen zu finden, sondern vor allem dazu, Machtmissbrauch von einzelnen genialen Menschen und Gruppen zu unterbinden.
Dass dabei oft die zweit- und drittbesten Lösungen und nicht wirklich berauschende Kompromisse herauskommen, mag Intellektuelle nerven - aber sie sollten sich damit trösten, dass kein anderes politisches System die genialsten Attacken auf das Gemeinwohl besser verhindern kann - was letztlich für das Gemeinwohl erfahrungsgemäss der wichtigere Punkt ist.
Oder wie Churchill schon sagte: «No one pretends that democracy is perfect or all-wise. Indeed, it has been said that democracy is the worst form of government - except all those other forms that have been tried from time to time.»

Dienstag, 3. Januar 2012

SP-Parteipräsident Levrat bricht ein Tabu

In der neusten Ausgabe der http://www.sonntagszeitung.ch/ - dem klassischen Printmedium, das Politiker aller Parteien in der Schweiz gerne nutzen, um ihre Ideen in die politische Diskussion zu werfen - lässt SP-Parteipräsident Christian Levrat einen Versuchsballon zum Thema Zuwanderung steigen und fordert, die SP müsse ohne Tabus darüber nachdenken, ob man die Zahl der Zuwanderer aus dem Ausland begrenzen solle und dürfe das Thema nicht länger der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) von Christoph Blocher überlassen. Hintergrund für die neuen Töne aus der SP-Parteispitze dürften einerseits der näher rückende Abstimmungskampf zur Zuwanderungsinitiative der SVP (von der Levrat sich umgehend distanziert) und andererseits eine Analyse der Wahlen vom Herbst 2011 sein. Wie nicht anders zu erwarten, erntet Levrat mit seinem Vorstoss bei der Parteilinken (insbesondere von  Juso-Präsident David Roth und Gewerkssekretär Corrado Pardini) harsche Kritik, während gemässigtere SP-Grössen sich positiv äussern.
"Man fühlt sich an die Diskussion an erinnert, welche die SP vor drei Jahren geführt hat. Damals verlangte die SP-Spitze um Levrat mehr Polizeipräsenz, ein Verbot des organisierten Bettelns und rasche Ausschaffung sogenannter Kriminaltouristen. Parteiintern stiessen diese Vorschläge auf harsche Kritik. In der Folge wurde das entsprechende Papier verwässert und de facto versenkt." (Radio DRS im heutigen Echo der Zeit).
Meine eigene Erinnerung reicht noch etwas weiter zurück - zu dem Migrationspapier, das Strahm und die heutige Bundesrätin Simmonetta Sommaruga vor Jahren entworfen hatten, das Levrats Vorgänger im Parteipräsidium in einem Radiointerview angekündigt hatte, und das dann monatelang auf der SP-Homepage totgeschwiegen wurde.
Radio DRS zitiert SP-Nationalrätin Evi Allemann "Nur weil man kritisch Probleme benennt, dürfe man nicht automatisch in die ausländerfeindliche Ecke gedrückt werden. «Das ist ein Fehler, den wir allzu lange gemacht haben», ist Allemann überzeugt und fügt an: «Tabufreies diskutieren bringt uns viel weiter als mit der Angst der Ausländerfeindlichkeit im Nacken, nichts zu tun.»".
Ähnlich auch SP-Wirtschaftsexperte Rudolf Strahm: "Levrats Vorschläge seien zwar zu wenig durchdacht, aber es sei richtig, dass die SP nicht der SVP das Feld überlasse, denn «in der arbeitenden Bevölkerung ist das ein Thema». Die SP habe das bis jetzt verdrängt."

Manchmal tut es mir gut, im Nachhinein Positionen von Top-Politik-Insidern und seriösen Journalisten gleichermassen bestätigt zu hören, die ich in Diskussionen vertreten habe, und die meine GesprächspartnerInnen dabei als haltlose, nicht fundierte Pauschalurteile meinerseits abgetan haben (hier konkret meine Aussage: "die SP Schweiz tabuisiert das Ausländerthema systematisch und überlässt es damit der SVP").

Ich bin mal gespannt, ob die SP sich dieses Mal zu einer tabufreien Diskussion durchringen kann ...

dies gelesen - das gedacht

Wer mich kennt, weiss dass ich seit Jahrzehnten eine Leseratte bin und mir meine kritischen Gedanken über die Welt mache. Schon als Primarschüler habe ich nicht nur Zeitungen ausgetragen, sondern auch gelesen - was ja in diesem Alter nicht gerade ein alltägliches Hobby ist. Mit diesem Blog möchte ich einige aus meiner persönlichen Sicht besonders interessante Infos und meine spontanen Gedanken dazu für mich selbst festhalten und sie mit allen teilen, die darauf Lust haben.