Sonntag, 22. Januar 2012

Wieviel "Wulffen" ist erlaubt?

Während in der Schweiz die Retourkutsche zum "Abschuss" des Nationalbankpräsidenten durch Blocher & Co. schon in voller Fahrt ist (Protestaustritte bei der SVP) schwelt die Affäre um den deutschen Bundespräsidenten Wulff weiter. Letzte Woche wurden Büros von ehemaligen Wulff-Mitarbeitern von der Staatsanwaltschaft durchsucht, heute abend steht die Talk-Show von Günther Jauch unter der Frage "Wie viel "Wulffen" ist in Ordnung?" (Vorschau). In beiden Fällen geht es letztlich um die Glaubwürdigkeit von Amtsträgern in wichtigen Positionen.

Das Anliegen als solches - Amtsträger sollen im Interesse der Allgemeinheit handeln und dürfen sich durch das Amt keine persönlichen Vorteile verschaffen und schon gar nicht durch die Annahme von Geschenken von Drittpersonen abhängig werden - ist selbstverständlich berechtigt und müsste in einer Demokratie eigentlich selbstverständlich sein.

Trotzdem sei hier die Frage erlaubt, ob es angesichts der aktuellen Situation (Eurokrise) im Interesse der Allgemeinheit sein kann, wenn mittels quotenwirksamen Kampagnen "auf den Mann gespielt" wird und man Amtsträger, die Verfehlungen begangen haben gleich "mit der Moralkeule erschlagen" soll (kritischer Kommentar von Hugo Stamm dazu hier). Denn eigentlich wäre doch gerade ungestörte Arbeit und breit abgestützte Lösungsfindung für die grossen Probleme notwendig.

Im Fall Hildebrand ist - auch wenn grundsätzlich niemand unersetzlich ist - die Vakanz im Präsidium der Nationalbank sicher nicht im höheren Interesse des Landes und im Fall Wulff hätte Bundeskanzlerin Angela Merkel sicher Gescheiteres zu tun, als sich mit der Frage zu beschäftigen, wie die CDU/CSU möglichst unbeschadet aus der Affäre Wulff herauskommt.

Durch die Fokussierung der Medien auf die Amtsträger und ihre Verfehlungen geraten die Sachfragen in den Hintergrund. Und bei diesen gäbe es durchaus öffentlichen Diskussionsbedarf. In der Schweiz wurde die Diskussion letzten Sommer öffentlich ausgetragen, und das Ergebnis war - auch ohne formelle Abstimmung im Parlament und ohne Volksabstimmung klar: ein von Spekulanten massiv jenseits der wirtschaftlichen Basisdaten getriebener Wechselkurs ist inakzeptabel und die Nationalbank soll korrigierend eingreifen und dafür notfalls auch Inflation risikieren. Nachdem die öffentliche Diskussion diesen Punkt erreicht hatte, handelte die Nationalbank und setzte das Kursziel fest (zur Erinnerung: Kurs vor der Bekanntgabe ca 1 EUR = 1 CHF, realwirtschaftlicher Kurs entsprechend Kaufkraftparität 1 EUR = 1.35 CHF, zwingend verteidigtes Kursziel und aktueller Wechselkurs nach dessen Bekanntgabe 1 EUR = 1.20 CHF).

In der übergeordneten Sachfrage (Eurokrise) wird dagegen im Hintergrund hektisch verhandelt während die Diskussion über die Grundsatzfragen (soll Griechenland in der Eurozone verbleiben oder nicht, und was würde im einen oder anderen Fall passieren; macht es Sinn im Euroraum einen Finanzausgleich einzuführen wie ihn die Schweiz zwischen den Kantonen kennt  und wenn ja, mit welchen Regeln) nur in Bruchstücken an die Öffentlichkeit gelangt. Wie in dieser Sache die vom Duo Merkozy angedachten Lösungen europaweite Akzeptanz erreichen sollen, bleibt mir schleierhaft.

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